Drei Jahre Hebammenausbildung. Puuhh, ich bin so froh, dass ich das hinter mir habe! „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, den Spruch kennt man, aber erst heute begreife ich seine vollständige Bedeutung und ja er trifft auf meine Ausbildungszeit voll und ganz zu. In diesem Blogartikel erzähle ich dir von meiner Ausbildungszeit in der Klinik, von den einzelnen Lehrjahren, was sich in meinem Alltag verändert hat und die Erkenntnis, dass die Hebammenwelt doch nicht so schön ist wie ich dachte. Heute kann ich mit sehr viel Humor über diese Zeit sprechen, damals fand ich es allerdings nicht so lustig.
1.Lehrjahr
Ich stehe im Kreißsaal und bin absolut überfordert. Es klingelt, es piept, es schreit, es tönt. Ich kann die Geräusche nicht zuordnen, es sind einfach zu viele. Ich wusste nichts. Ich habe nicht gecheckt, was ich tue und schon gar nicht, warum ich es tue.
Die größte Herausforderung, war erstmal die Namen der Hebammen und Ärzte nicht zu vergessen. Dann kamen mit der Zeit die kleinen Aufgaben, die ich übernehmen konnte.
Mein erstes Mal Katheter legen. Ich sag’s euch. Das ist eigentlich kein Hexenwerk, aber man kann sich natürlich ganz besonders dämlich anstellen. Meine Hände haben vor Aufregung so gezittert, dass ich den scheiß Katheter nicht in die Harnröhre geschoben bekommen habe. Die Hebamme musste mit anfassen, um meine Hand zu führen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr diese Hebamme den Kopf geschüttelt und die Augen verdreht hat. Von weitem sieht immer alles so einfach aus, bis man es dann selber machen muss.
Es gibt so viele Dinge, die man in dieser Ausbildung zum ersten Mal macht. Einläufe, Blut abnehmen, Flexülen legen, Medikamente spritzen, Medikamente aufziehen und es ist letztendlich wie bei allem: Übung macht den Meister. Aber in diesen Momenten ist es erstmal zum Verzweifeln.
Das erste Mal klappt eh nie, das zweite Mal nur, wenn man Glück hat, das dritte Mal klappt dann wieder nicht, beim vierten Mal wird’s schon besser. Aber wenn einem dann die Hebamme oder der Arzt im Nacken hängt, einfach „um nur mal zu sehen“ wie man seine Arbeit so macht, dann wird’s aus Prinzip schon nicht klappen.
An alle, die noch auf dem Weg sind Hebamme zu werden: Dran bleiben, dran bleiben, dran bleiben. Nicht unterkriegen lassen.
Mein Motto: Stell dich einfach nicht blöd an und steh nicht im Weg herum.
2.Lehrjahr
Hier nimmt die ganze Sache schon ein bisschen Fahrt auf. Ich habe schon zwei, drei Dinge mehr gecheckt, ich kannte die Routinen besser und konnte mich besser organisieren. Ans Telefon bin ich immer noch nicht gerne gegangen, weil ich immer noch zu viel Schiss hatte, die Fragen nicht beantworten zu können.
Meine erste vaginale Untersuchung…Holy shit! Ich weiß noch, als ob es gestern wäre. Der Befund: warm, weich, dunkel. Original jeder Befund einer Hebammenschülerin beim ersten Untersuchen. Ich sollte sagen wie viel Zervix noch steht, wie weit der Muttermund geöffnet ist, was ich vom Kopf taste und ob die Fruchtblase noch steht. Mit diesen Dingen im Kopf habe ich die Untersuchung gestartet und dachte: „Ach, du scheiße“. Die Hebamme damals schmunzelte und sagte dann: „Ja untersuchen muss man übern und auch wie man die Befunde laut ausspricht“. Erst da ist mir aufgefallen, dass ich „Ach, du scheiße“ gerade laut gesagt hatte.
#Unprofessionell #Anfängerfehler. Ist mir danach nie wieder passiert. Danke an die Hebamme, die mit ihrem Schmunzeln, meinen ungeschickten Kommentar, wieder gutgemacht hat und mich damit gerettet hat.
Ich habe wirklich gedacht, ich werde es nie lernen, vaginal zu untersuchen. An alle werdenden Hebammen, gebt euch Zeit, alles wird gut, irgendwann macht’s klick.
Mein Motto: Gib nicht auf, lohnt jetzt eh nicht mehr!
3.Lehrjahr
Fetzt. Zumindest nach den Prüfungen. Wuuhuu ein Ende ist in Sicht! Die letzten Dienste werden gezählt, die unnötigen Schulsachen werden schon mal weggeschmissen. Ich hatte hier meine großen 💡Aha-Momente und habe endlich die Zusammenhänge gerallt.
Das Allerschönste ist, ich durfte recht selbstständig arbeiten und die Frauen, soweit es ging, alleine betreuen, aber ich hatte immer noch eine Hebamme im Hintergrund, mit der ich mich abgesprochen habe und die ihren „Kopf“ für mich hingehalten hätte. Ich habe erst als ich selber Hebamme war verstanden, was das für ein Vertrauensbeweis war.
Dann noch die Prüfungszeit. Der Kaffee, mein bester Freund. 3 praktische Prüfungen, 5 schriftliche und 4 mündliche. Legga, da kommt Freude auf. Nebenbei noch ein bisschen im Kreißsaal arbeiten, weil 12 Prüfungen macht man locka easy going, quasi nebenbei. Versteht sich. Du wirst ja schließlich Hebamme, Multitasking musste können, ist deine Zukunft.
Mein Prüfungsmantra: „Ich bin eine übertrieben krasse Superheldin und keiner kann mich brechen!“. 🦸🏼♀️ Am Ende, war es das Manta meiner halben Klasse.🤟🏽
Nach der Schicht, Kippe und Wein, das muss schon sein. Auch so ein Mantra oder besser gesagt Bewältigungsstrategie. Shit, haben wir viel 🍷 und 🚬. Das war echt an der Grenze zu okay, aber völlig angebracht in der Zeit. Ich glaube, meine Klasse hatte mit 3 Raucherinnen gestartet und am Ende haben nur noch 3 nicht geraucht. Ich sag’s euch, Stress verändert einen.
Auf einmal ging alles ganz schnell. Die Prüfungen waren durch. Ich wusste, ich hab bestanden. Ich war free. Ich wusste gar nicht, wohin mit mir. Drei Jahre habe ich nur für diesen Kreißsaal existiert, gelebt, gearbeitet und dann ist auf einmal alles over and out. Ich wusste gar nichts mit mir anzufangen. Da ich offensichtlich den Bezug zum normalen Leben völlig verloren hatte, habe ich dann erstmal aufgehört Kaffee und Alkohol zu trinken und zu rauchen. #guteEntscheidung
Mein Motto: Zieh durch, jetzt lohnt Abbrechen wirklich nicht mehr (aber es kommt doch immer wieder der Gedanke auf, ob Abbrechen nicht doch besser wäre).
Ein anderes Leben
Ich möchte nicht sagen, dass meine Ausbildung schwieriger ist oder härter als andere. Sie ist eben anders. Gerade zum Studentenleben kein Vergleich.
Mein Leben im Schichtsystem war zu Beginn erstmal komplett out of control.
Frühschicht 5 Uhr aufstehen. Für mich persönlich ist 5 Uhr mitten in der Nacht, also totale Katastrophe. Dann haste nen vollen Dienst und kommst, wenn du Pech hast erst um 11 oder 12 zum Essen. Danach komme ich nach Hause, hast noch den ganzen Tag Zeit. Denkste. 17 Uhr kickt die Müdigkeit, 20 Uhr war ich schon pennen.
Spätschicht 14-22:30 Uhr. Joar kannste geil auspennen, entspannt frühstücken und dann kannste dich schon auf den Weg zur Arbeit machen. Kommste 23 Uhr nach Hause ist der Tag auch gelaufen.
Nachtschicht 22-6:30 Uhr. Da schlaf ich den Tag über und habe abends noch bisi Zeit für Essen. Das Ding ist, der Tag wechselt in der Schicht. Ist klar, aber im Nachtdienstmodus habe ich das gerne mal vergessen. Ey, wie oft ich sonntags bei netto stand und mich gewundert habe, dass die Türen nicht aufgehen.
Ach ja, da Kinder bekanntlich auch am Wochenende zur Welt kommen, spielte das reguläre Wochenende auch keine besondere Rolle mehr. Wochenende war für mich, wenn ich frei hatte.
Meine freien Tage waren auch keine freien Tage mehr wie früher, mit Netflix und chill. Wenn ich frei hatte, habe ich die Dinge erledigt, die während der Arbeitszeit untergegangen sind. Wäsche gewaschen, einkaufen gehen, Arztbesuche etc. und nebenbei immer noch lernen oder irgendein Referat vorbereiten.
Mein Rhythmus total im Arsch und ich dauerübermüdet. Augenringe, mein täglicher Begleiter.
Urlaub 29 Tage+ 1 Nichtraucher Tag. Bei der Arbeit war ich selbstverständlich Nichtraucher. Da habe ich die 6 Wochen Sommerferien vermisst und die Studenten um ihre Semesterferien beneidet. Und ich hab zum ersten Mal verstanden, wie schön es war bei Mama und Papa gepampert zu sein.
Was habe ich vermisst? Ich habe meine Spontanität vermisst, meine Leichtigkeit. Einfach sagen zu können: “ja heute gehe ich feiern und lass morgen die Vorlesungen sausen”. Mit Restalkohol am Kreißsaalbett stehen, kommt einfach nicht gut. Ich habe vermisst, mal keine Verantwortung zu haben, mal keine Termine zu haben, mal nicht angekackt zu werden, weil man schon wieder irgendwas „falsch“ gemacht hat.
Wenn ich mal frei hatte und feiern war, war ich spätestens um 1 Uhr so müde, dass ich auf dem Dancefloor hätte wegpennen können. Mein “Feiern” sah eher so aus, um 17 Uhr den Wein aufgemacht und um 21 Uhr komatös im Land der Träume gewesen.
Wunschdenken
Ich habe früher immer gedacht, eine Hebamme betreut eine Frau. Schön wärs. Man betreut meistens 5 Frauen. Man sprintet von Zimmer zu Zimmer um die Lage abzuchecken und ist doch nie länger als 5min bei einer Frau. Es sei denn, sie bekommt gerade ihr Kind oder ein Notfall ist eingetreten.
Die Geschichten von Frauen die ihre Kinder alleine in der Klinik auf dem Flur bekommen, die sich im Stich gelassen fühlen – sind true. Ich habe es selbst erlebt und es tut mir für jede einzelne Frau von Herzen leid. So sollte niemand Geburt erleben müssen. Aber eine Hebamme auf 5 Frauen geht eben nicht auf und für diese Rechnung können Hebammen leider rein gar nichts. Auch Hebammen genießen diese Art zu arbeiten nicht. In der außerklinischen Geburtshilfe wirds den Hebammen auch nicht leichter gemacht. Die Arbeitsbedingungen sind mies und obwohl man selbst nichts dafür kann, hat man den Frauen gegenüber ein schlechtes Gewissen.
Das zu realisieren, dass die Art zu arbeiten nicht nur in der Ausbildung kacke ist, sondern, dass das die allgemeinen Arbeitsbedingungen für Hebammen sind, tut weh. Diese Erkenntnis kickt und zwar richtig.
Meine guten Vorsätze von wegen „ ich mach’s anders“ , „ ich mach’s besser“ zack in der Tonne. Wie soll mans unter den gleichen Bedingungen besser machen? No chance.